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UX Research und Prozessoptimierung

Umfragen und Anwendertests können ein Ansatz sein, um IT-Lösungen an den täglichen Herausforderungen von Pflege- und Verwaltungspersonal, aber auch Erkrankten, auszurichten und klinikinterne Workflows zu beachten.


Zwei junge Männer stehen mit Smartphone an Whiteboard mit Skizzen und Post-Its zu einer App.

Optimale Prozesse, eingespielte Teams und ein guter Informationsfluss sind das Fundament jeder Klinik. Um stets eine effiziente Arbeitsweise zu gewährleisten, braucht es eine ständige Anpassung der Klinikabläufe an sich wandelnde Anforderungen. Angesichts aktueller Herausforderungen wie des akuten Fachkräftemangels in der Pflege oder des steigenden Kostendrucks versprechen neue digitale Lösungen schnelle Abhilfe. Was oftmals einfach klingt, birgt für Kliniken eine nicht minder große Aufgabe, wenn es an die Implementierung der Lösungen geht. Um die Optimierungspotenziale bestehender Klinikprozesse zu heben, ist es bei der Einführung neuer IT-Anwendungen notwendig, die Bedürfnisse von Anwender:innen – Klinikpersonal ebenso wie Patient:innen – zu berücksichtigen. Diesen Perspektivwechsel leistet UX Research. Sabine Krause und Anna Pietrek, UX Researcher bei der BEWATEC ConnectedCare GmbH mit Insights aus ihrem Arbeitsalltag und Praxis-Tipps für Kliniken.

Digitalisierung von Klinikprozessen

Einigen Leser:innen ist der Begriff „UX Research“ möglicherweise neu. Was bedeutet das und erklären Sie uns, welche Fragestellungen, Aufgaben und Probleme Ihren Arbeitsalltag prägen.

Sabine Krause: Kurz gesagt: Wir sind die Stimme der Anwender:innen im Unternehmen. „UX“ ist die Abkürzung für „User Experience“ und zu dieser Nutzererfahrung forschen wir. Unser Ziel ist es, Anwender:innen ein möglichst gutes Nutzererlebnis mit unseren digitalen Lösungen, wie beispielsweise der Patienten-App, zu bieten. Ist die Benutzeroberfläche irreführend gestaltet, fehlen Informationen in einem Menüpunkt oder sind dort vielleicht die Falschen hinterlegt? Finden sich Nutzer:innen schnell und intuitiv im Menü zurecht? Antworten auf diese und andere Fragen bestimmen unseren Arbeitsalltag.

Anna Pietrek: Wie Sabine schon angedeutet hat, stehen bei uns die späteren Anwender:innen mitsamt ihren Problemen, Herausforderungen und Bedürfnissen im Klinikalltag im Fokus. Die Entscheidung über eine neue IT-Anwendung treffen zumeist die Managementebenen von Klinik und Lösungsanbieter. Das Problem dabei ist aber, dass weder der Vertriebsleiter des IT-Unternehmens noch die klinische Geschäftsführerin des Krankenhauses die Anwendung später nutzen. Damit will ich sagen, dass die Sichtweise der Nutzer:innen oftmals vernachlässigt wird. Der entscheidende Punkt ist der Perspektivwechsel; weg vom Management hin zu den Bedürfnissen der User.

 

Verstanden. Die User, ihre Bedürfnisse und ihre Nutzererfahrung stehen im Vordergrund. Aber wer genau sind denn überhaupt die späteren Anwender:innen?

Anna Pietrek: Das ist ganz unterschiedlich und hängt immer vom jeweiligen Projekt ab. Im Kontext der Digitalisierung und Optimierung von Krankenhausprozessen sind es aber vor allem drei Personengruppen, die wir mit unseren Lösungen adressieren. Auf der einen Seite stehen die Patient:innen. Um Klinikprozesse für alle Beteiligten einfacher und effizienter zu gestalten, kommt dieser Gruppe eine entscheidende Rolle zu. Der gesamte Prozess der Patientenaufnahme kann durch das Mitwirken der Patient:innen, eine gute Vorbereitung und vollständige Unterlagen verkürzt werden. Kein/e Patient:in muss im Krankenhaus Aufnahmebögen ausfüllen, Adress- und Krankenversicherungsdaten angeben und dabei eine/n Klinikmitarbeiter:in binden. Das kann auch schon zu Hause und per App passieren. Die Daten werden einfach in der App an die Klinik geschickt und am Tag der Aufnahme ist alles vorbereitet.

Auf der anderen Seite richten sich unsere Lösungen aber natürlich auch an das Klinikpersonal. Denn jemand muss die von den Patient:innen übermittelten Informationen auch weiterverarbeiten. Somit sind unsere User zum einen das administrative Klinikpersonal und zum anderen die Pflegekräfte auf den Stationen.

 

Ob mobiles Bezahlen beim Shopping oder Online-Meetings im Job, täglich kommen wir x-fach mit verschiedenen User-Interfaces in Kontakt. Was sind die besonderen Herausforderungen des UX Research im Gesundheitswesen?

Sabine Krause: Das ist eine gute Frage. Eine Herausforderung stellt auf jeden Fall die Anpassung von IT-Lösungen an die Arbeitsabläufe im Krankenhaus dar. Klinikprozesse haben oft eine lange Historie und meist sind viele verschiedene Abteilungen und Stakeholder involviert. Hier einzugreifen, auch mit der Absicht, bestehende Probleme zu lösen und den Ablauf zu verbessern, ist oft ein Drahtseilakt. Eine inkrementelle und agile Arbeitsweise ist hier der Schlüssel. Interessen müssen gehört, abgewogen und möglichst in Einklang gebracht werden. Je besser IT-Lösung und Klinikprozess zueinander passen, desto flüssiger wird das Nutzererlebnis und umso größer der antizipierte Mehrwert.

Anna Pietrek: Wichtig ist in diesem Kontext auch ein gutes Erwartungsmanagement. In Krankenhäusern sind viele Prozesse gesetzlich reguliert. Außerdem spielen IT-Sicherheit und Datenschutz – völlig zu Recht – eine sehr große Rolle. Diese Aspekte immer mitzudenken, kostet einfach Zeit, weshalb Prozessdigitalisierung und -optimierung im Gesundheitswesen manchmal ein bisschen länger braucht als in anderen Branchen, die vielleicht weniger Auflagen zu erfüllen haben.

 

Lassen Sie uns konkret werden: Eine Patienten-App soll den Aufnahmeprozess verbessern. Wie finden Sie jetzt heraus, was das Klinikpersonal erwartet oder wie – nachdem die App eingeführt wurde – Patient:innen mit der Benutzeroberfläche zurecht kommen?

Sabine Krause: Für solche Aufgabenstellungen steht uns ein gut gefüllter Werkzeugkasten zur Verfügung. Im Falle des Klinikpersonals ist es zunächst wichtig, die Arbeitsabläufe zu verstehen. Hierfür geben Vor-Ort-Beobachtungen (sogenanntes „Shadowing“) einen guten Einblick. Auch eine Zufriedenheitsbefragung bspw. mittels Fragebögen kann hilfreich sein, um zu sehen, wo man steht, um später auch eine Verbesserung sichtbar zu machen. Benötigen wir detailliertere Einblicke in die Bedürfnisse und Probleme im Klinikalltag, sind Tiefeninterviews eine gute Möglichkeit. Hier haben zukünftige Anwender:innen die Chance, individuelles Feedback zu geben und ihre Erwartungen an die neue Lösung und den betroffenen Prozess zu teilen. Im Falle der Patient:innen starten wir mit den Nutzertests so früh wie möglich in der Entwicklung. Bereits kleine Tests mithilfe eines Klick-Prototypen geben Aufschluss darüber, wie gut die Interaktion mit dem jeweiligen System tatsächlich funktioniert. Auf diese Weise können grobe Fehler vermieden werden, noch bevor begonnen wird, die Anwendung zu programmieren. Der Prototyp wird auf Grundlage der Erkenntnisse weiterentwickelt bzw. in der Programmierung umgesetzt und dann erneut in Nutzertests validiert. 

Die Teilnehmer:innen von Nutzertests sollten den tatsächlichen Endnutzer:innen weitestgehend entsprechen. Da akute Patient:innen aufgrund ihrer aktuellen Situation zumeist nicht für Tests zur Verfügung stehen, arbeiten wir hier mit Personen, die in den letzten zwei Jahren in einer Klinik waren – die Situation also kennen. In den Nutzertests werden die Teilnehmer:innen mit typischen Bediensituationen konfrontiert. Ihnen wird ein Szenario beschrieben, das sie sich vorstellen und in diesem sie dann eine bestimme Aufgabe lösen sollen – z. B. einen ärztlichen Befund in der App hochladen und an die Klinik schicken. Die Testpersonen werden gebeten, während der Aufgabenbearbeitung ihre Herangehensweise und ihre Erwartungen laut zu äußern (so genanntes „Lautes Denken“). Durch Beobachtung können dann Schwierigkeiten mit der Anwendung identifiziert werden – also wo beispielsweise die App noch nicht so aufgebaut ist, wie es den Erwartungen der Nutzer:innen entspricht, wo etwas missverständlich dargestellt ist oder Hilfestellungen fehlen. Das ist aus unserer Sicht immer sehr spannend und es kommt wieder und wieder zu Überraschungen – etwas, womit man nicht gerechnet hat. Nutzertests lohnen sich eigentlich immer.

Wie gut die Anwendung in der Praxis funktioniert, wird dann schließlich in einem sogenannten „Pilottest“ geprüft – d. h., die App wird beispielsweise zunächst nur für einen Fachbereich in einer Klinik zur Verfügung gestellt. Durch Feedbackfragebögen oder auch Telefoninterviews erhalten wir dann Einblick in die Erfahrungen tatsächlicher Nutzer:innen auf der Patient:innen- und der Klinikseite und können auch hier noch einmal nachsteuern, falls nötig.

 

Wenn sich eine Klinik nun, um beim Beispiel zu bleiben, für die Anschaffung einer neue Patienten-App entscheidet, welche Tipps würden Sie der Klinik für die Einführung der neuen Anwendung mit auf den Weg geben?

Anna Pietrek: Die Entscheider:innen des Krankenhauses sollten sich schon bei der Auswahl eines Lösungsanbieters nach dem Stellenwert erkundigen, den der Hersteller dem Thema Anwendererfahrung und Nutzerfreundlichkeit einräumt. Gibt es im Rahmen der Produktentwicklung und -einführung Prozesse, um die Bedürfnisse der User zu berücksichtigen? Wenn ja, wie sehen diese Prozesse aus? Und wenn es eine Klinik genau wissen möchte: Laden Sie UX-Verantwortliche des Herstellers zu einem Termin ein und lassen Sie sich ihre Arbeitsweise und vergangene Projekte zeigen.

Frau Pietrek, Frau Krause, vielen Dank für das Gespräch.